Was ist Internet-Literatur?

Ökonomie der Sprache


Der Inhalt, die Botschaft der AutorIn läßt sich auch weiterhin mit klassischem Text transportieren, mit dem Medium der Schrift, wie wir sie kennen. Die Sprache ist allerdings nicht mehr die alleinige Trägerin des Inhalts.

Das "geschriebene Wort" wird dennoch wesentlich bleiben, da es im Wesen der Schriftstellerei liegt, sich mittels Sprache auszudrücken. Die Tendenz mag dahin gehen, präziser und kürzer zu schreiben als bisher, denn sonst bringen die LeserInnen schwerlich die Geduld auf, den Text am Bildschirm zu lesen. Eine gewisse Ökonomie der Sprache muß kein Nachteil sein. Allerdings ist es eine zu diskutierende Frage, inwieweit AutorInnen dem Bedürfnis der Leser nach sehr kurzen Ausdrucksformen entgegenkommen sollten. Wie weit soll man sich auf die "Zap- und Klick-Mentalität" einlassen?

Die Tendenz darf m.E. nicht dahin gehen, Stil und Inhalt zu vernachlässigen. Die Qualitätskriterien haben sich nicht verändert, nur weil die Worte über den Bildschirm flimmern. Professionelle AutorInnen werden auch weiterhin sprachlich und inhaltlich so differenziert wie möglich arbeiten.

Der Sprung der Literatur vom Papier ins Internet birgt das Potential, den sprachlichen Ausdruck sowie die thematische Vielfalt zu bereichern. Internet-Literatur kann das Thema des Mediums aufnehmen, dessen es sich bedient; neues Vokabular und neue Metaphern könnten sich daraus entwickeln. Vielleicht verändern sich auch Tempo, Klang und Rhythmus des Geschriebenen: Das Internet lädt dazu ein zu experimentieren.

Vielleicht ist es die Aufgabe der SchriftstellerInnen, die LeserInnen dafür zu sensibilisieren, der Sprache weiterhin große Aufmerksamkeit zu schenken, auch wenn das bloße Betrachten der Bilder und der schnelle Sprung über die Hyperlinks auf den ersten Blick verlockender erscheinen mögen.

© Odile Endres 1998