Poesie im Cyberspace
 

 

Bagdad (2003)

I

In der Wüste bäckt man
da bäckt man Sandkuchen
Ischtar hat gerufen
Sandkorn und Blut
Haut und Waffenglut
Fett und Knochenmehl
& Bombensplitter machen‘s gel
das sind die sieben guten Sachen
die einen Totenkuchen machen
dann wird Uranstaub draufgestreut
das macht ihn zum Versehr bereit
das macht ihn haltbar lange Zeit


II

In der Wüste rieselt Sand da
rieselt Sand auf den Gräbern
von Ur die essen Seelen auf
die betten Regimenter
zum ewigen Schlaf
wenn sie von fremden Armeen
aus der Luft zu Atomen
zerpulvert da rieselt es
da rieselt es auf den Gräbern
von Ur

abends schimmert der Sand rot
& nachts hat er einen schwarzen Glanz
während Opfer-Gesänge aus
unsichtbaren Zikkurat tönen
nachts werden die Sandkörner
schwer von Erinnerungen
& der Last des Krieges
nachts erstehen die Albträume
auf aus den Wüstengräbern
& gehen ihren Weg in die
schlafenden Städte

dort liegen die Träumenden
die wälzen sich unruhig in
ihren kalten Betten
Kinder wachen auf
mit angstrotem Schrei
selbst die Schatten der
Toten streichen ruhelos
durch die Ruinen
in den Hospitälern glühen
die Wunden
brennender Schmerz
der Chirurg im Operationssaal
bewacht Skalpelle Lampen Ampullen
barmherzige Betäubung
schläft mit der Kalaschnikow
im Arm so dass die Albträume
ihn für einmal verschonen
& den schönen Träumen
überlassen & lieber die
Plünderer heimsuchen
& die alten Schergen
& die neuen Besatzer
während der Chirurg
lächelt im Schlaf
denn die schönen
Träume sind Gaukler
die von weiß woher
kommen & bunte
Seifenblasen pusten
& den Albträumen
die Schläfer abzuschwatzen
versuchen
bis zur Dämmerung am Morgen

III

Draußen unter dem
dunklen Himmel
irrt der Tod durch
die Straßen von Bagdad
mit seinen phosphorgrünen
Augen die irrlichtern
zwischen den Trümmern
der Häuser & Märkte
wo ich ihm begegnete
als er sich auf einen
Stein setzte und weinte

warum weinst du
fragte ich
weil ich mich selbst
nicht mehr erkenne
sagte der Tod
& weil die Menschen
sterben vor ihrer Zeit

er sei am Ende
sagte der Tod
er selbst habe sich
schon vervielfachen
müssen bis ins
Unendliche fast um
seinen Auftrag zu erfüllen
& nun hätten fremde
Doubles seine Arbeit
übernommen & erledigten
selbst vergebene Aufträge
die von der United World
Life and Death Organization
nicht gedeckt seien
und er der Tod
schliche durch die
Straßen nicht mehr wissend wer er sei
hier in Bagdad oder Basra
oder Mossul oder Nadjaf
oder anderswo
er werde jetzt zu einem
Schamanen gehen der
keiner Religion angehöre
& niemandes Wasserträger sei
er habe jetzt genug
zu oft schon hätten
Unbefugte sich in
seine Arbeit eingemischt
und deren Erfindungen
um ihre Opfer zu quälen
und zu töten
seien grausamer als
alles was er sich
jemals habe ausdenken
können oder wollen
er könne sie nicht mehr
ertragen seine Doppelgänger
& er müsse jetzt gehen

ich schaute ihm
nach wie er ins
Herz einer Ruine ging
wo er sich aufzulösen
schien als das Licht
der Morgendämmerung
herabtropfte vom Himmel
& der Schutt & die Asche
die Dunkelheit aufsaugten
wie ein poröser Schwamm

ich sah wie die letzten
Alpträume sich davon schlichen
& ein paar Traumgaukler
ausgezehrt und blass
fast transparent mit
leeren Augen durch die
glaslosen Fenster in ein
zerbombtes Haus sich
schleppten als der
ungewisse Tag begann

& der Morgenwind
weiße Sterne aufwirbelte
und rote Streifen und
einen übrig gebliebenen
Traum vom blauen Mond

 

 © Odile 20. April 2003, in Form gebracht 2004