Die Leserin, der Leser oder eine neue Art von Rezeption

Vielleicht ist LeserIn nicht mehr ganz der angemessene Ausdruck. Man könnte auch sagen die SeherIn oder ganz einfach UserIn oder SurferIn. Oder wir nennen die LeserInnen und damit auch uns selbst - wenn wir nicht in der Rolle der Produzenten sind - Rezipienten (weibliche Form immer mit gemeint).

Auf jeden Fall ändert sich mit der Internet-Literatur auch etwas an der Rolle der Rezipienten.

Internet-Literatur spricht die Rezipienten idealerweise auf mehreren Ebenen an. Vielleicht werden sie durch Grafiken und Hyperlinks sogar noch mehr sinnliches Erleben beim Lesen haben.

Die "Internet-Produzenten" laden die Rezipienten ein in verschiedene Räume, in virtuelle Räume, neue Orte der Literatur, die sie durchwandern können. Entweder so, wie die Produzenten es wollen oder so, wie sie selbst es wollen. Und damit neue Geschichten lesen oder "schreiben".

Die Hyperlinks erlauben den Rezipienten ein gewisses, wenn auch bisher sehr reduziertes Maß an Interaktivität. Dies ist ein wichtiger Punkt, der noch zu diskutieren sein wird. In dem Maße, wie zunehmend auch Programmierung eingesetzt wird, kann sich das Maß an Interaktivität noch erweitern oder im Gegenteil reduzieren bzw. mehr gelenkt werden. Beides kann reizvoll sein.

Rezipienten können nach Belieben (auch das ist relativ) durch die Räume einer Geschichte oder eines Gedichts wandern. Sie können wählen, welche Pfade des Labyrinths sie gehen wollen. Sie können vielleicht noch mehr als bei herkömmlicher Literatur in das Geschehen eintauchen. Sie können so leicht und schnell die Ebenen wechseln wie nie zuvor. Sie geraten in virtuelle Welten. Sie verstricken sich im Netz. Wenn die AutorIn sie nicht davor bewahrt. Und ich finde, das sollte sie/er tun.

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copyright Odile Endres, 1996/97, Stand 5.5.97